Deutschlandradio, Hartmut Krug
Die Arbeit von Hölls Text am Problem, wie Einstiges sprachlich exakt zu beschreiben ist, illustrieren sie mit einem urkomischen Spiel: Einer haucht Tierlaute ins Mikrofon und der andere muss die Tiere erraten. Ein Bild für die Sprachübungen, die Hölls Such-Text durchziehen. Die Inszenierung von Nina Mattenklotz setzt bei ihrer Interpretation der Erinnerungen von Wolfram Höll an eine ostdeutsche Jugend ganz auf die Kraft der Schauspieler.Wenn das Publikum in die Studiobühne des Deutschen Nationaltheaters Weimar eingelassen wird, sind im ausgangslosen und bis auf ein Kinderbett leeren Bühnenkasten mit seinen Wänden aus Umzugs- und Eierkartons schon Schauspieler aktiv. Eine Frau balanciert am Bühnenrand, während ein Mann am Boden liegend immer die gleiche Melodie auf der Mundharmonika spielt, da mag ihm die Frau noch so viele “Spiel doch mal …” Vorschläge machen. So macht Nina Mattenklotz’ Inszenierung schon im erfundenen Vorspiel klar, dass der Erinnerungsweg in Wolfram Hölls Text nicht einfach ist, – da mag die immer wiederkehrende, titelgebende Formulierung “Und dann” noch so sehr auf einen logischen Ablauf hinweisen. Ein dritter Darsteller kommt hinzu, wie die anderen in weißer Feinripp-Unterwäsche, und das Personal von Wolfram Hölls Stück, das einen Vater und zwei Kinder umfasst, ist beisammen. Und dann ziehen sich die drei mit viel Spiel und Gezappel an und schlüpfen mit Faltenrock oder kurzer Hose in Rollen. Die es in Hölls Text nicht gibt. In dem erinnert sich ein Junge in konstatierender und fragender Aufzählung an seine ostdeutsche Jugend, an die Wandlungen durch die Wende und an den Verlust der Mutter. Weshalb er immer wieder fast manisch eins, zwei, drei zählt, seien es Plattenbauten oder Klingelknöpfe. “Ich klingle an der eins, zwei, dreiten Klingel von unten, doch von oben kommt nichts. Ich klingle wieder und wieder und wieder, und wieder kommt nichts. Ich starre auf das Klingelschild und ich kann es nicht lesen und auf den schwarzen runden Klingelknopf. Dann drücke ich sie, alle, alle, alle Klingelknöpfe, lang so lang, bis die Sprechanlage spricht: ‘Du wohnst hier nicht, deine Eltern haben dich nicht und hatten dich nicht, dich gibt es nicht.'” Zur Vier gelangt er kaum einmal, sie ist die Leerstelle, die einst die Mutter besetzte. Warum die Mutter nicht mehr da ist, erfährt man nicht. An der Wand des Bühnenraumes steht ein Satz aus dem Stück, der die Situation des Jungen beschreibt: “Ein Vater zwei Kinder drei Verlierlinge vier Plattenbauten eine Mauer die keine mehr ist.” Verlierlinge heißen bei Höll die Findlinge, die wie die Kiesel in den Betonplatten der Plattenbauten auf das Verstummen, ja Versteinern der Menschen hinweisen. Der Junge wartet auf eine neue Eiszeit, “dass ein Gletscher kommt, uns wegschiebt und vergisst.” Der Text des 1986 in Leipzig geborenen Wolfram Höll, der mittlerweile als Hörspielregisseur beim Schweizer Radio arbeitet, ist nicht von ungefähr mit dem letztjährigen Hörspielpreis des Stückemarktes beim Berliner Theatertreffen ausgezeichnet worden. Denn er präsentiert sich nicht als Spielvorlage mit Aktionen und Rollen, sondern als ein von heftigem Formwillen geprägtes Sprachkunststück. Hölls fragmentierte und stakkatohafte Sprache fügt Erinnerungen und Assoziationen ordentlich ineinander. Sie liefert manch schöne Wortschöpfung, arbeitet mit Wiederholungen und Klangschleifen ähnlichen Redundanzen, setzt heftig tiefere Bedeutungen, klingt allerdings weniger kindlich als künstlich und bleibt nicht frei von Manierismen. “Wir stehen an der Panzerparadenlangenstraße und schauen die Panzerparadenlangenstraßenparade an, und da sind keine Tücher, nur rote Hälse so kalt ist es und ich frage Vater … Warum es keine Tücher mehr hat.” Gerade solch eigentlich untheatral hermetischer Text aber reizt Theaterleute. Denn hier müssen sie eine Theatersprache erfinden und können ihre szenischen Ideen ausleben. Während Claudia Bauer vor zwei Wochen am Schauspiel Leipzig dem Text mit Puppen, theatraler Künstlichkeit und medialem Aufwand zur Bühnenwirkung verhalf, versucht Nina Mattenklotz ihn in Weimar durchs Spiel ihrer drei Darsteller körperlich werden zu lassen. Die dürfen sich austoben und finden körpersprachliche und mimisch-gestische Verdeutlichungen, aber auch Undeutlichkeiten. Die Arbeit von Hölls Text am Problem, wie Einstiges sprachlich exakt zu beschreiben ist, illustrieren sie mit einem urkomischen Spiel: Einer haucht Tierlaute ins Mikrofon und der andere muss die Tiere erraten. Ein Bild für die Sprachübungen, die Hölls Such-Text durchziehen. Dann wieder kämpfen die Kinder miteinander, während der Vater die Spule seines Films aus familiärer Vergangenheit träumerisch lang durch die Finger gleiten lässt. Sein Funkgerät und der Diaprojektor, der das Bild seiner Frau an den gegenüberliegenden Plattenbau projiziert, werden als magische Instrumente beschworen, und zu Beginn erklingt der “Wind of change”, während am Schluss der traurige Sohn //”Where are we now”/ von David Bowie lauscht. Schauspielerisch ist das oft ansehnlich, doch wird es vor allem durch den Darsteller des Jungen auch in eine Überexpressivität und tönende Ernsthaftigkeit gebracht, die dem Text nicht gut tun. Insgesamt aber überzeugt der spielerische Formwillen, mit dem die Inszenierung die leichte Hermetik des sprachlichen Gestaltungswillens des Autors aufbricht. (25.10.2013)
Thüringer Landeszeitung, Katja Dörn
Die Kinder lässt Regisseurin Nina Mattenklotz miteinander albern und leiden. Die ältere Schwester stellt sich buchstäblich in die Schuhe der Mutter. Sie umsorgt ihren Bruder, kleidet ihn an. Birgit Unterweger vermag der Figur eine kecke Note zu geben, die bei Wolfram Höll doch nur schemenhaft auftaucht als “du”.[…] Sie wohnen im Riesenhaus, im Plattenbauhaus. Vater, Sohn, Tochter. Die Mauer steht nicht mehr – und sie steht doch noch, in der Familie, in der die Mutter fehlt. Es ist eine ostdeutsche Geschichte, die Wolfram Höll in seinem Theatertext “Und dann” mit den Worten eines Kindes beschreibt.
Höll beschreibt eine Welt im Umbruch. Der Junge versteht nicht ganz, was es bedeutet, dass die Mauer offen ist. Die anderen Kinder tragen keine roten Halstücher mehr, und sein Vater spricht nur noch selten. Meist sitzt dieser zuhause, starrt auf einen Projektor, indem mal hell, mal dunkel die Mutter erscheint. Und immer mehr verliert sich der arbeitslose Vater in seiner Trauer, vergisst seine Kinder, die in ihrem Zimmer bleiben.
Fridolin Sandmeyer spielt den kindlichen Erzähler, der von seinen Erlebnissen fetzenhaft berichtet, so wie es ein Kind aufschnappen würde. Der Darsteller füllt die Bühne aus, und das nicht nur wegen seiner Größe, durch die er fast an den oberen Bühnenrand stößt. Er schreit, er schwitzt, er frotzelt mit seiner Schwester (Birgit Unterweger). Er verausgabt sich schon so früh, dass ihm im Laufe des Stücks keine Steigerungsmöglichkeit bleibt. Und doch wird er in einer letzten Szene noch einmal lärmen, lang und ausdauernd, bis sich seine Stimme überschlägt. Dem Zuschauer bleibt da nur die Bitte: Nicht mehr schreien!
Ein drastischer Kontrast dazu ist Christoph Heckel. Im grauen Hemd und dunkelgrün karierten Beinkleid mit Hosenträgern spielt er diesen verlassenen ostdeutschen Vater sehr leise. Seine Blicke sind wehmütig und rühren. Doch leider ist er nur eine Nebenfigur im Spiel der Geschwister, meist regungslos am Rand platziert.
Die Kinder lässt Regisseurin Nina Mattenklotz miteinander albern und leiden. Die ältere Schwester stellt sich buchstäblich in die Schuhe der Mutter. Sie umsorgt ihren Bruder, kleidet ihn an. Birgit Unterweger vermag der Figur eine kecke Note zu geben, die bei Wolfram Höll doch nur schemenhaft auftaucht als “du”. Dann ist sie auch wieder verletzlich, malt ihre Umrisse mit Kreide ab und steht verdutzt davor, um wie wild daraus das Bild der Mutter zu zeichnen.
Das Bühnenbild hat Oliver Helf gelungen karg gehalten. Graue Pappen umhüllen den Raum, auf einem Bett liegt ein ausgewaschener Bezug, und über die Kopfhörer, die an der Wand angesteckt sind, lauscht der Vater nach einem Signal von der Mutter. Dadurch kann Raum bleiben für die Stärke des Stückes: den Text. Wolfram Höll hat ihn in Versform geschaffen. Wörter wie “Verlierlinge” und “Panzerparadenlangenstraße” lassen den Zuschauer innerlich lächeln. Eindringlich wirken die Wortwiederholungen. Die Mutter erscheint als Projektion – “Und ist da / ist da / ist da / wo sie / nicht da / war.”
Es bleiben bewusst Fragen offen. Der Zuschauer rätselt, wo die Mutter ist. Und warum unbedingt Verlust und Sehnsucht so unerbitterlich durch Schreien ausgedrückt werden müssen. Am Ende dann ist der Junge, Christoph Heckel, doch noch still. Er sitzt am Boden, eine Kassette in den Recorder gesteckt, und hört David Bowies “Space Oddity”. Im Weltall ist es auch einsam – und ruhig. (26.10.2013)