Der Bund, Nicolette Kretz
Dieses junge Theaterteam beweist viel Mut zum Konsequenten. Was schnell furchtbar klamaukig werden könnte, bliebt hier fein und poetisch.Ein wunderbares kleines Schmuckstück haben Wolfram Höll (Regie, Text), Nina Bilang (Bühne) und Reto Stalder (Spiel) mit Mr. Sung’s Heaven geschaffen. Sie überzeugen bei diesem HKB-Masterprojekt mit viel Mut zur Feinheit und sehr hübschen bildlichen Einfällen.
Mr. Sung steht in einer kleinen, hermetisch abgeschlossenen Raumkapsel auf der Bühne. Zögerlich tastet er im Halbdunkeln mit zwei Langen Fühlern die Umgebung ab. Die Lage scheint sicher genug, um einen Blick hinaus zu werfen und, selbst immer noch abgeschottet, ein paar klimatische Tests durchzuführen. Nun kann er es wagen den Boden der Kapsel aufzusägen. Er ist gekommen, um uns wortlos einige Artefakte seiner Zivilisation zu präsentieren: eine kleine Schreibmaschine vor, einen Diaprojektor (ohne Bilder) und einen Plattenspieler. Und eine Diskokugel und eine rudimentäre Slide-Show geben uns Auskunft, wie er zu uns gelangt ist.
Dieses junge Theaterteam beweist viel Mut zum Konsequenten. Was schnell furchtbar klamaukig werden könnte, bliebt hier fein und poetisch. Und sie schaffen es (fast) durchgehend, die Langsamkeit spannend zu halten. Man schaut diesem liebenswürdigen Normalo sehr gerne zu und fragt sich, ob wir hier eigentlich die Fremden sind oder er. (28.10.2013)

theaterkritik.ch, Julia Voegelin
Man sitzt da und starrt auf die schwarze Bühne, um irgendetwas auszumachen, woran sich das Auge festhalten könnte. Da, ein Lichtstrahl. Umrisse einer Raumkapsel werden sichtbar, während sich aus ihr langsam durch eine Luke ein Lichtstrahl schiebt. Im Publikum wird geschmunzelt.«Mr Sung’s Heaven» glitzert, rattert und surrt in fremden Klängen und vertrauten Bildern. Das Projekt im Rahmen des Theater- Masterstudiengangs der Hochschule der Künste Bern zaubert mit seinen Gerätschaften ein ganz eigenes Universum – und verblüfft mit einer selbst gebauten Raumkapsel.
Manchmal tut sie gut, die dunkle Stille, wenn man sie auszuhalten gezwungen wird. Man sitzt da und starrt auf die schwarze Bühne, um irgendetwas auszumachen, woran sich das Auge festhalten könnte. Da, ein Lichtstrahl. Umrisse einer Raumkapsel werden sichtbar, während sich aus ihr langsam durch eine Luke ein Lichtstrahl schiebt. Im Publikum wird geschmunzelt. Es ist der Anfang eines komisch-lustigen Spiels, das einen schönen Spannungsbogen aufbaut und mit einem netten «Thank You» endet.
Mr. Sung, ein Nordkoreaner, ist eben gelandet und wagt nun eine erste Erkundung seiner neuen Umwelt. Sein Auftrag: Im Nirgendwo des Alls von seiner Heimat zu künden. Zeltstangen drängen sich wie Fühler aus der Kapsel und erkunden kratzend den Boden. Durch ausfahrbare Handschuhe aus Aluminium testet er ausserhalb der Kapsel Temperatur, Sauerstoffgehalt und Gravitation. Die Kerze brennt und der Apfel fällt – und zum ersten Mal sehen wir sein Gesicht durch die Luke: dunkelblondes Haar, Seitenscheitel, feines Gesicht.
Schauspieler und Masterstudent der Hochschule der Künste Bern Reto Stalder verkörpert einen Mr. Sung, der fast schon mehr Maschine als Mensch ist, der seine kapselig-technische Umgebung längst verinnerlicht hat. Jede Handlung ist durchgeplant, abgeklärt und genau. Krachend sägt er seine Kapsel auf und stellt nicht einfach einen Stuhl auf die Erde, nein, er lässt ihn am Nylonfaden nach unten gleiten. Endlich ist Mr. Sung draussen, beginnt er geschäftig mit der Vorbereitung. Wofür, das erschliesst sich uns erst am Schluss.
Das Projekt «Mr. Sung’s Heaven» ist im Rahmen des Masterstudiengangs der Hochschule der Künste Bern entstanden und das Resultat der Zusammenarbeit von Nina Bilang (Bühne), Wolfram Höll (Regie) und eben Reto Stalder. Die drei jungen Künstler schaffen darin eine abgekapselte, eigene Welt, der etwas Mystisches anhaftet. Und dies obwohl – oder vielleicht genau deshalb – Mr. Sung exakt nach Plan handelt und seine Gerätschaften nach einer unsichtbaren Anleitung aufstellt. Wir hören asiatische Popmusik, bekommen unser Sonnensystem erklärt und erfahren über Mr. Sungs Vergangenheit. Und dann: Zeit für eine Zigarette, Zeit für Menschlichkeit. Der Bruch in der Figur gelingt Stalder glaubwürdig und gut, wie er da sitzt mit dem Rücken zu uns, das steife Lächeln ist von seinem Gesicht verschwunden. Dias schieben sich vorüber: Mr. Sung mit Frau und einem kleinen Kind in den Armen. Sein Sohn ist inzwischen wahrscheinlich erwachsen, seine Frau neu verliebt. Ein Zurück gibt es für Mr. Sung nicht und nie mehr. «Wär wird cho, wenni gange bi?» dudelt es aus dem Plattenspieler auf Berndeutsch. Er bedankt sich für die Platte, die zu ihm abgeseilt wurde und verschwindet.
Ein Stück über Einsamkeit, Loslassen und Lebenspläne. Oder über Gravitation, Raumkapseln und die Marserkundung. Wie auch immer. Es bietet eine Plattform für eigene Gedanken und Interpretationen. Und erweckt die Lust, sich in der Raumkapsel zu verkriechen, um tatsächlich einmal abzuheben ins Nirgendwo.

theaterkritik.ch,  Cyril Werndli
Da versucht einer verbissen eine Kommunikation zwischen Bühnenfigur und Zuschauern herzustellen und scheint dabei grandios zu scheitern: Was will er uns denn sagen, der Herr Sung?Eigentlich hat sich Mr. Sung aufgemacht, in der galaktischen Ferne des Universums von seiner irdischen Welt zu künden. Eigentlich ist er gewillt, den Kampf gegen die Vergänglichkeit des irdischen Daseins aufzunehmen und dafür seine Heimat für immer zu verlassen. Doch sein Heldenmut stösst auf unvorhergesehene Schwierigkeiten.
Nun ist er also gelandet, irgendwo im weiten Universum. Es ist Zeit für die ersten Erkundungsversuche aus der geschlossenen Weltraumkapsel: Zögerlich erhellen die schwenkbaren Bordscheinwerfer die Dunkelheit, mit langen biegbaren Stangen wird der Boden und der Raum sorgfältig abgetastet, ein erster Blick aus der Luke gewagt. Die Lufttemperatur wird ermittelt und die Ortszeit. Der Fall eines Apfels beweist die Existenz der Gravitation. Die Flamme einer Kerze atmet Sauerstoff. Mr. Sung kann sich aus der Kapsel wagen. Mit lautem Dröhnen zersägt er den Boden seines schützenden Kokons. Vorsichtig schreitet er das Gelände ab. Dann die Schrecksekunde: Mit seinem Scheinwerferlicht entreisst er die Masse der Zuschauer der Dunkelheit. Da sitzen Menschen. Fluchtartiger Rückzug ins autarke Kleinuniversum. Mit den Scheinwerfern sendet er Morsesignale, festliche Marschmusik erschallt den Raum, ein Blick aus der Dachluke. Die Menschen scheinen ihm gut gesinnt. Mr. Sung kann seine Mission fortsetzen.
Was will er uns sagen?
Aus seinen Koffern zaubert er technische Errungenschaften, die aus einer vergangenen Zeit stammen: Eine Schreibmaschine. Ein Plattenspieler. Darauf lässt sich wunderbar Volksmusik aus der Heimat abspielen. Ein Diaprojektor. Die Lichtpunkte einer Diskokugel verwandeln den Raum in einen Sternenhimmel: «Welcome to Mr. Sung‘s heaven!» In einem Lichtbildervortrag wird uns unser Sonnensystem vorgestellt, die Phasen des Mondes, die Sternbilder am Himmelsfirmament. Ohne zu wissen wo er gelandet ist, zieht Mr. Sung seine minutiös choreographierte Präsentation gnadenlos durch und demaskiert damit das Wesen einer jeden Inszenierung – sei sie nun künstlerischer, politischer oder gesellschaftlicher Natur. Das Setting (Bühnenbild: Nina Bilang) wird vor den Augen der Zuschauer aufgebaut: Zum Takt eines Metronoms werden rote Teppiche ausgerollt, Pflanzen zur Dekoration aufgestellt, die Szenerie ins rechte Licht gerückt. Jeder Schritt, jede Handbewegung sitzt. Jede Bewegung ist einstudiert, selbst das Grinsen, das die imaginäre Wand zwischen dem Gestrandeten und der schweigenden Masse niederreissen soll. Da versucht einer verbissen eine Kommunikation zwischen Bühnenfigur und Zuschauern herzustellen und scheint dabei grandios zu scheitern: Was will er uns denn sagen, der Herr Sung?
Erlösend greift die Bühnenmaschinerie des Schlachthaus Theater Bern ins Geschehen ein, sie lässt Musik vom Bühnenhimmel herab schweben – auf Vinyl gepresst und damit auf dem technischen Stand des Fremden. Strom darf er aus der Steckdose des Theaters beziehen (was adapterlos klappt). Begleitet von einem leisen Knistern singt King Pepe von der Vergänglichkeit: «Wär nimmt mini Gebei mit hei?». Mr. Sung versteht wohl kein Wort. Zufrieden über die vermeintlich geglückte Kommunikation, bedankt er sich bei den Zuschauern und verschwindet in seiner Kapsel. Mr. Sung (Reto Stalder) und seine Crew (Text und Regie: Wolfram Höll) vermögen mit ihrem Einfallsreichtum und ihrer leisen Erzählweise zu packen. Im Universum der grossen Fragen scheinen sie aber von der Umlaufbahn abgekommen zu sein: Vieles klingt an, vermag aber nicht in Schwingung zu versetzen. Vieles wird berührt, nicht aber im Kern getroffen. Vieles wird beleuchtet und bleibt dennoch nebulös verschleiert.